Der Stadtturm von Straubing
Straubinger Herzstücke

Straubing kann mehr als schöne Fassade. Die Stadt gilt seit dem Mittelalter als Herz Altbayerns. Sie unterstreicht dies mit Gotik-, Barock-, Renaissance- und Rokoko-Schmuckstücken. Für Abwechslung sorgen Pythons und spannendes Öko-Know-how

Lesezeit: 15 Minuten

Straubing: Das Herz Altbayerns

Es gibt in Bayern ein Staubing, ein Aubing und auch ein Schaufling. Und Straubing gibt es gleich zweimal. Eines ist, über den Daumen gerechnet, allerdings kaum mehr als hundert Quadratmeter groß. Es liegt unterirdisch und ist von einer Glaswand umgeben, an der sich zwei neugierige Jungen die Nase platt drücken.

Weil ihnen das Wahrzeichen, der berühmte Straubinger Stadtturm, plötzlich auf Augenhöhe gegenübersteht. Weil sie ein paar Meter weiter, vor weiteren Straubing-Nachbauten, sogar das Getümmel des Gäuboden-Volksfests überblicken können: die neonblaue Autodrom-Bude und die auf Schuhkartongröße geschrumpften Bierzelte.

Das lustige Ringelspiel im Handtellerformat. „Blue Brix – Straubinger Wunderwelten“ heißen diese liebevoll zusammengesetzten Modelle, die nicht nur an Schlechtwettertagen den Besuch lohnen.

Zwei Jungs bestaunen ein Stadtmodell in der größten Modellbahnschau Süddeutschlands

Für das echte Straubing nimmt man sich besser länger Zeit. Das legt bereits der 600 Meter lange Stadtplatz nahe, der im entspannten Rhyth­mus einer historischen niederbayerischen Markt­stadt pulsiert.

Radfahrer rollen zwischen Theresien- und Ludwigsplatz hin und her. Mütter parken Kinderwägen vor frischen Kräutern, die am Viktualienmarkt angeboten werden, und schnuppern an Ma­joran, Minze und am feinen Lüftchen des freien Nachmittags.

Ein Wetterhahn kann sich nicht so recht entscheiden: Er dreht den spitzen Schnabel mal den rosaroten Barockfassaden zu, rudert dann an Treppengiebel vorbei Richtung Wasserturm.

Ein schönes, angenehmes Gefühl macht sich breit: Straubing, das „Herz Altbayerns“, hat es nach vielen Jahrhunderten des erfolgreichen Wirtschaftens nicht besonders eilig. So bleibt Muße für die vielen, auf engem Raum versammelten Fassadendetails und Kunstschätze, die längst Teil des Alltags geworden sind.

Design by Albrecht Dürer

Am barocken, 1685 errichteten Tiburtiusbrunnen umschmeicheln die liebevoll arrangierten Blumentröge die Figur des gleichnamigen Straubinger Stadtheiligen, einladend für kleinere Pausen sind die Steinstufen und Bänkchen gleich ne­ben dem Ensemble.

7.184 Gulden, 41 Kreuzer und 2 Heller für das Symbol ihrer Unabhängigkeit

Wenige Schritte weiter blitzt die Dreifaltigkeitssäule in der Mittagssonne und erinnert an den Widerstand gegen österreichische Husaren, die sich hier breitgemacht hatten.

7.184 Gulden, 41 Kreuzer und 2 Heller ließen sich Straubings stolze Bürger das Symbol ihrer Unabhängigkeit damals kosten. Was sie, auf viele Generation umgelegt, dafür erhielten? Ein weiteres unverrückbares Wahrzeichen für ihre Stadt. Mit einer alabasterweißen Jungfrau Maria und einer glamourös blattvergoldeten Dreifaltigkeit an der Spitze einer korinthischen Marmorsäule.

Ein monumentales Moses-Fenster ist in der nahen päpstlichen Basilika St. Jakob zu bewundern. Es braucht kein Kunststudium, um es im nüchternen Halbdämmer der grandiosen gotischen Hallenkirche zu entdecken.

Kräftig leuchtende Farben, lebendige Pflanzenteile, dramatisch verwirbelte Himmelswolken verraten: Design by Dürer, Albrecht. Den weichen Faltenwurf von Moses‘ Umhang spürt man fast auf der eigenen Haut. Die Lichtstimmung ist erhebend erhellend.

Der deutsche Ausnahmekünstler der Renaissance war gerade aus Italien zurückgekehrt, als er gegen Ende des 15. Jahrhunderts dieses Glasfenster schuf, das einzige außerhalb seiner Heimatstadt Nürnberg.

Innenansicht der Ursulinenkirche in Straubing

Ungewöhnlich sinnlich

Das gilt schon gar für den Hüftschwung, den die fleischrosa Gipssäulen der Ursulinenkirche hinlegen. In weichen Windungen kurven sie nach oben, streben dem himmelblauen Chor-Firmament entgegen, an Blasengeln vorbei und neben einer Kanzel wie eine Theaterloge.

Ins Paradies zu schauen kostet nichts: Die berühmten Brüder Asam ließen es sich nicht nehmen, in Straubing ihre finale barocke Komposition abzuliefern, eine einzigartige Harmonie von Architektur, Skulptur und Malerei, die den Übergang zum Rokoko zeigt.

Blick auf den Stadtturm und die Dreifaltigkeissäule in Straubing

Auf in die Turmstube!

Dem sanften Segeln der Schönwetterwolken über Ostbayerns Straubing kann man in der Turmstube des Stadtturms hinterherträumen. Bis 1930 lebte, schlief und wachte dort der „Oberste Beamte“ der Stadt. Der karge Holztisch und ein grob gezimmertes Bett zeugen von der bescheidenen Existenz – aber mit privilegierten Blicken über die gesamte Altstadt und weit darüber hinaus. In östlicher Richtung zerfließen strohgelbe Ackerflächen mit dem diffusen Grün des Bayerischen Walds. Schnurgerade Baumalleen halten Felder und Wiesen wie Haftnähte zusammen.

Die Donauauen sind zum Greifen nah. Der mittelalterliche Stadtturm befindet sich exakt im Zentrum der leicht erhöht gelegenen und somit gegen die Launen der Donau geschützten Altstadt. Ein 68 Meter hoher, blassweißer Zeigefinger mit kupferspangrünen Spitzen.

Grund zum Aufzeigen gibt es seit jeher. Straubing, die Gäuboden-City Nummer eins, ist seit Jahrtausenden berühmt für Erste-Sahne-Ackerböden. Eiszeitliche Lössablagerungen machen die Region zur unangefochtenen „Kornkammer Bayerns“. Im Laufe der Zeit ist sogar das Straubinger Wahrzeichen mit der umliegenden Stadt mitgewachsen.

Die Straubinger sahen es zur Zeit des Herzogtums Straubing-Holland vermutlich ganz gern, dass ringsum immer höhere Kirchen und Bürgerhäuser errichtet wurden. Klar war, dass ihr mittelalterlicher Stadtturm, dessen Grundstein bereits 1316 gelegt worden war, dabei mitziehen musste. Ja, das war wichtig. Schließlich galt es, neben der Rolle als Feuerturm, die angrenzende Donau im fiskalischen Auge zu behalten.

Blick auf das Herzogschloss in Straubing an der Donau
Die straubinger Agnes-Bernauer-Torte wird in der Traditions-Konditorei Krönner serviert

Straubing, im späten Mittelalter neben München, Landshut und Ingolstadt eine der Hauptstädte der bayerischen Teilherzogtümer, erfreute sich eines besonderen Privilegs: Es durfte von vorüberziehenden Schiffen Zölle einbehalten.

Um besonders effizient sein zu können, verdrehte man der Donau den Arm. Zumindest ein wenig. Spaziert man vom Wasserturm Richtung Donau hinunter und über die elegant hingenietete Stahlwelle der Schlossbrücke, dann findet sich zwischen dem Altarm der Donau und dem später umgeleiteten Flussbett die grüne Gstüttinsel. Eine feine Auenlandschaft, die mit stämmigen Pappeln und schönen Blicken auf das 1356 gebaute Herzogsschloss aufwartet.

Einen Kilometer stromabwärts verharrt das auf einem Römerkastell errichtete Urstraubing. Ein verwunschen wirkender Friedhof überzieht den Kirchhügel St. Peter nebst romanischer Pfeilerbasilika mit Rundbögen aus dem 12. Jahrhundert. Und Kapellen, die alte Geschichten erzählen.

Agnes Bernauer: True-Love-Story

Etwa Straubings True-Love-Story aus dem 15. Jahrhundert. Sie handelt von Agnes Bernauer, der Geliebten des Bayern-Herzogs Albrecht III.  Da nicht standesgemäß verbandelt, ließ dessen Vater Herzog Ernst von Bayern-München 1435 die arme Agnes in der Donau ertränken.

Man kann sich diese lokale Folklore auf der Zunge zergehen lassen. Die Traditions-Konditorei Krönner serviert dazu die Agnes-Bernauer-Torte, die die Geschmacksknospen gelernter Mehlspeis-Tiger verwirrt zurücklässt. Schwere Mandelcreme und bröselige Leichtigkeit. Dieses Rezept passt zur widersprüchlichen Romantik einer tragischen Liebe.

Tierpflegerin im Tiergarten Straubing hat eine Python um den Nacken gelegt
Ein Tierpfleger füttert die Pelikane im Tiergarten Straubing mit Fisch

Python-Streicheln im Tiergarten

Aber auch das Angebot „Python-Streicheln nur nach Vorbestellung“ macht Straubing seinen Gästen. Genauer betrachtet macht es die Tierpflegerin im Tiergarten Straubinger, die das Thema Streichelzoo managt und trotz Würgeschlange im Genick recht entspannt wirkt. Vielleicht hat das auch mit dem idyllischen Setting zu tun, mit dem imposanten Altbaumbestand und dem nahtlosen Übergang zu Donau-Feuchtgebieten.

Seit 70 Jahren wird die Verwandlung des alten Stadtgartens in Ostbayerns größten Tiergarten vorangetrieben. Zweihundert Arten exotischer und heimischer Wildtiere finden sich dort. Zuletzt kam das neue Löwengehege dazu.

NAWAREUM: Neues Mitmach-Museum in der Straubinger Schulgasse

Deutschlands erstes Museum zum Thema Nachhaltigkeit

Die Natur im Fokus hat eine andere Straubinger Attraktion: Das NAWAREUM stimmt Besucher mit vorgelagerten Gemüsebeeten und einem kleinen Architekturhain ein, 79 naturbelassene Lärchenbaumstämme aus dem Bayerischen Wald flankieren die moderne Glasfassade.

Wie viele Liter Wasser braucht man für eine Halbe Bier?

Das erste ausschließlich mit Nachhaltigkeit befasste Museum Deutschlands eröffnete im März 2023. Spielerisch lotet es als Mitmach-Museum die komplexen Zusammenhänge von Nachhaltigkeit und Zukunftstechnologien aus.

Wie viele Liter Wasser braucht man für eine Tasse Kaffee, wenn man die Produktion mitrechnet? Und wie wenig für eine Halbe Bier? Wer in die Pedale tritt oder kurbelt, erfährt am eigenen Leib, wie viel Muskelschmalz für ein paar Wattstunden nötig sind.

Ganz Straubing liegt an einer Kreuzung, die die Natur eingerichtet hat. Das weiß auch Günther Moosbauer, Direktor des Gäubodenmuseums.

Schild am Eingangsbereich des Gäubodenmuseums in Straubing
Goldene Parademasken, ausgestellt im Gäubodenmuseum in Straubing

„Der große mitteleuropäische Wasserweg von Ost nach West und die Pässe des Bayerischen Walds als bestimmende Nord-Süd-Magistrale treffen hier zusammen.“ Darauf basiert die 7.000-jährige Siedlungsgeschichte, die im Gäubodenmuseum aufbereitet wird.

Keramiken jungsteinzeitlicher Ackerbauern, Funde aus Bandkeramischen Gräbern und Exponate bis zum Ende der Keltenzeit. Die Ausstellung „Baiern gefunden! Die Entstehung Straubings“ beleuchtet die bajuwarische Frühgeschichte interaktiv.

Der größte Schatz des Hauses war eine archäologische Weltsensation, als er 1950 entdeckt wurde: der Römerschatz mit den römischen Paraderüstungen, der größte Hortfund weltweit. Gesichtsmasken, Beinschienen, Rossstirne, die im 3. Jahrhundert im Boden des „nassen Limes“ verschwunden waren. Nun tragen auch sie zum reichen Glanz des Gäubodens bei

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